Zeit Online: Der CDU-Politiker Mike Mohring kennt sich mit Regierungskrisen aus. Ein Gespräch über die Lage in Sachsen-Anhalt, die Öffentlich-Rechtlichen und Parallelen zu Thüringen.
"Mit der AfD darf es keine Kooperation geben, auch keine indirekte"
Das
CDU-Präsidiumsmitglied Mike Mohring sitzt seit 1999 im Thüringer
Landtag. Seit 2008 führte er dort die CDU-Fraktion, seit 2014 war er
Landesvorsitzender der Partei. Anfang März 2020 trat er von beiden Ämtern zurück, nachdem seine Partei gemeinsam mit Stimmen der AfD und der FDP den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt will die CDU nun gegen eine Erhöhung der Rundfunkgebühren stimmen – genau wie die AfD. Das hat zu einer Krise mit den Koalitionspartnern SPD und Grünen geführt.
ZEIT ONLINE: Herr Mohring, Sie haben im Februar nach dem Erfurter Dammbruch zur AfD Ihre Ämter als Landes- und Fraktionschef der CDU in Thüringen verloren. Viele ziehen nun eine Parallele zwischen den Geschehnissen im Thüringer Landtag und der Regierungskrise in Sachsen-Anhalt. Sie auch?
Mike Mohring: Nur
sehr bedingt. Die Ausgangslage ist eine ganz andere. In Thüringen waren
wir in der Opposition, als die Linke Anfang des Jahres versuchte, mit
SPD und Grünen eine Minderheitsregierung zu bilden. In Sachsen-Anhalt
stellt die CDU den Ministerpräsidenten einer Mehrheitsregierung mit SPD
und Grünen, die jetzt wegen einer Sachfrage in die Krise geraten ist.
Diese Sachfrage, die um 86 Cent Rundfunkbeitrag kreist, gilt es jetzt zu
lösen.
ZEIT ONLINE: Aber es wurde doch längst die Machtfrage gestellt. Wie sehr hat Sie die Eskalation des Streits überrascht?
Mohring: Am
Freitagmorgen war ich jedenfalls erstaunt darüber, dass der
Innenminister Holger Stahlknecht als CDU-Landeschef die kompromisslose
Beschlusslage und eine Minderheitsregierung als Alternative zur aktuellen Koalition präsentierte. Überrascht hat auch die Konsequenz von Ministerpräsident Reiner Haseloff, seinen Minister zu entlassen …
ZEIT ONLINE: … worauf Stahlknecht auch seinen Rücktritt als Landesparteichef ankündigte. Was hat wer falsch gemacht?
Mohring: Von außen soll man keine Ratschläge geben, die habe ich mir in Thüringen auch immer verbeten. Aus der speziellen Erfurter Perspektive kann man aber sagen, dass niemand eine Mehrheitsregierung ohne Not hergeben sollte. Ich wäre froh, wenn wir uns als CDU in Thüringen nach der Wahl in der Lage befunden hätten, auf eine Mehrheit bauen zu können. So bedauerlich die Entwicklung der vergangenen Tage in Sachsen-Anhalt ist: Die nun entstandene Situation bietet eine neue Chance, die Koalition bis zur Landtagswahl im Juni zusammenzuhalten. Ich hoffe sehr, dass dies gelingt.
ZEIT ONLINE: Viele in der CDU in Magdeburg behaupten, dass SPD und Grüne es sind, die das Bündnis gezielt riskieren.
Mohring: Die Freunde in Magdeburg verweisen darauf, dass im Koalitionsvertrag zum Rundfunk eine Beitragsstabilität vereinbart wurde. Der Satz ist zwar angesichts der geplanten Erhöhung von nur 86 Cent interpretationsfähig. Aber er zeigt trotzdem, dass die kritische Position der CDU ursprünglich eine breite Mehrheit im Landtag besaß. Die Linke hatte sogar als Oppositionsfraktion noch bis vor einem Monat offengelassen, ob sie die Erhöhung mitträgt. Erst als sie umkippte, wurde die CDU dann gezielt an den Pranger gestellt. Diese moralische Überhöhung durch Linke, SPD und Grüne halte ich für fatal. Es ist doch keine Frage des Verhältnisses zur Demokratie, welchen Rundfunkbeitrag man für angemessen hält.
ZEIT ONLINE: Gibt es von Ihnen Kritik an den Sendeanstalten?
Mohring: Auf den Führungsetagen sind zu wenige Ostdeutsche, es gibt zu wenige Frauen, die Gesellschaft wird nicht ausreichend abgebildet. Es existieren immer noch zu viele Doppelstrukturen. Die Gehälter der Intendanten sind zu hoch. Große Teile des Etats werden für Pensionen und nicht das Programm ausgegeben. Teure Sportrechte sind ebenso fraglich. Alle Gemeinschaftseinrichtungen mit Ausnahme des Kinderkanals von ARD und ZDF befinden sich im Westen. Und das sind nur die wichtigsten Punkte.
ZEIT ONLINE: Sie sitzen seit Jahren im Rundfunkrat des Mitteldeutschen Rundfunks. Was haben Sie dagegen getan?
Mohring:
Der MDR ist die sparsamste Rundfunkanstalt in Deutschland und
gleichzeitig eine der erfolgreichsten. Und die Intendantin erhält
deutlich weniger Gehalt als ihre Kollegen im Westen. Es erscheint daher
etwas widersprüchlich, dass ausgerechnet in ihrem Sendegebiet die Kritik
am lautesten ist. Aber diese Kritik richtet sich ja auch nicht gegen
den MDR, sondern die überkommenen Strukturen der öffentlich-rechtlichen
Anstalten in der alten Bundesrepublik.
"Das ist für frei gewählte Abgeordnete ein unbefriedigender Zustand"
ZEIT ONLINE: Also ist die Blockade der CDU in Sachsen-Anhalt richtig?
Mohring: Ihre
Kritik ist inhaltlich berechtigt und die Debatte dazu notwendig. Aber
sie sitzt hier einem Missverständnis darüber auf, welche Rolle Landtage
bei Staatsverträgen einnehmen. Die Parlamente haben nur eine Art
Notariatsfunktion, sie beglaubigen das, was die Kommission zur
Ermittlung des Finanzbedarfs empfahl und die Regierungen ausverhandelt
haben. Das ist für frei gewählte Abgeordnete natürlich ein
unbefriedigender Zustand. Aber das lässt sich nur mit Blick auf die
Zukunft heilen. Das heißt, wir müssen über den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk nicht nur dann reden, wenn wieder einmal ein fertiger
Staatsvertrag ratifiziert werden soll. Wir Parlamentarier müssen beherzt
die Prozesse umkehren und den Landesregierungen einen klaren
Aufgabenkatalog zur Verhandlung definieren und unsere Erwartungen, wie
Beitragsstabilität zu erreichen ist, so beschließen, dass es über einen
unverbindlichen Entschließungsantrag hinaus geht. Falls dann die
Ministerpräsidenten nicht liefern, gibt es auch keine Ratifizierung.
ZEIT ONLINE: Im Thüringer Landtag steht ja vor Weihnachten auch noch die Abstimmung zu den Rundfunkgebühren an, die rot-rot-grüne Minderheitskoalition ist auf mindestens vier Stimmen der CDU angewiesen. Werden Sie zustimmen?
Mohring: Ja, auch strategisch ist das die richtige Entscheidung. Ich glaube nicht, dass man Landtagswahlen mit dem Thema Rundfunkbeiträge gewinnt. Am Ende beurteilen Wählerinnen und Wähler Parteien danach, wie sie die Dinge verantwortlich lösen.
ZEIT ONLINE: Egal, welche Lösung gefunden werden mag: Der CDU in Sachsen-Anhalt bleibt wie allen anderen ostdeutschen Landesverbänden die Drohkulisse einer besonders starken und radikalen AfD erhalten. Sie hatten in Thüringen dafür immer das mangelnde Verständnis der westdominierten Bundespartei beklagt. Gilt das noch?
Mohring: Manche
Hinweise, die jetzt aus Berlin oder Westdeutschland in Richtung
Magdeburg gegeben werden, stammen wie damals aus der politischen
Komfortzone. Wie in Thüringen ist die Lage in Sachsen-Anhalt extrem
kompliziert. Die Umfragen sahen kürzlich schon mal danach aus, dass AfD
und Linke im Landtag gemeinsam auf eine Mehrheit kommen könnten. Damit
gäbe es in Magdeburg dieselbe Situation wie in Erfurt, die sich im
Übrigen auch in Thüringen nach der für April geplanten Neuwahl des
Landtags wiederholen könnte. Ich wünsche dies weder den Freunden im
Nachbarland noch uns. Diese Situation muss niemand ein zweites Mal
erfahren. Unvereinbarkeitsbeschlüsse lassen das Parteitagsherz höher
schlagen. Als Antwort auf die Lebenswirklichkeit im Osten taugen sie nur
bedingt.
ZEIT ONLINE: Das heißt, die CDU im Osten muss sich nach rechts wie links öffnen?
Mohring: Nein. Mit der AfD darf es keinerlei Kooperation geben, auch keine indirekte. Gleichzeitig muss man sie inhaltlich stellen und darf sie nicht durch Ausgrenzung zu Märtyrern machen.
ZEIT ONLINE: Und die Linke?
Mohring: Ich
bin im vergangenen Jahr mit meiner Idee, nach dem so noch nie
dagewesenen Wahlergebnis mit dem amtierenden linken Ministerpräsidenten
Bodo Ramelow zu reden, nicht nur auf Bundesebene aufgelaufen, sondern
auch daheim. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundes-CDU umfasst, wenn
auch mit einer völlig anderen Begründung, auch die Linke.
ZEIT ONLINE: Sie selbst planen für kommendes Jahr Ihr Comeback für den Bundestag – und wollen wieder für das CDU-Bundespräsidium kandidieren, obwohl einige Ihrer Parteifreunde in Erfurt mit den Augen rollen. Warum bewerben Sie sich?
Mohring: Ich werbe für Unterstützung aus meinem Landesverband, weil ich glaube, dass die Union aus Ostdeutschland möglichst stark in der Bundesspitze vertreten sein sollte. Das geht am besten, wenn auch Mitglieder, die nicht als Ministerpräsidenten und Landeschefs qua Amt kooptiert sind, in die Gremien gewählt werden.
ZEIT ONLINE: Richtet sich der Appell auch an Reiner Haseloff, vom dem es heißt, dass er ins Präsidium strebt?
Mohring: So weit sind wir noch lange nicht. Mitte Dezember entscheiden wir doch erst einmal, wie im kommenden Jahr der Bundesparteitag abläuft und ob neben dem Vorsitzenden überhaupt Präsidium und Vorstand gewählt werden können. Danach werden die nötigen Gespräche zu führen sein.
Zeit Online, Interview: Martin Debes, 6. Dezember 2020, 9:35 Uhr